Die Grenzen des Wissenschaftssystems

Werner Eberl über einen spannenden Ort für Wissenschaftler und sog. Laien

Egal, wo man in der wissenschaftssoziologischen Literatur nachliest - immer gibt es dort so etwas wie eine Grenze zwischen Wissenschaft und dem Rest, sei sie systemtheoretisch motiviert krohn, ethnomethodologisch knorr-cetina sensibel erspürt oder als erlebbarer Übergang eines esoterischen in einen exoterischen Kreis fleck verortet. Und immer tut sich an dieser Grenze etwas Spannendes: Es werden durch das Handeln in Umweltschleifen die internen und autonomen Strukturen der Forschung gestärkt, wenn nicht sogar gerechtfertigt, eine frigide Beobachtungsposition wird überwunden und die Forschungsinhalte werden neu geordnet und präzisiert. Mithin erscheint eine Forschungsgruppe als ein Ort der Verdichtung von Gesellschaft.

Was von Nöten erscheint, ist ein gesicherter Raum, wo wissenschaftliche Grenzgänge toleriert werden, eine weitere Umweltschleife für das Wissenschaftssytem, in dem Neubewertungen des Forschungshandels (z.B. die Größe "Wohlbefinden") zwanglos projiziert werden können. Wenn der Raum erstmal da ist, stellt sich Interdisziplinarität nahezu von selbst ein. Weil alle Disziplinen im wesentlichen die gleiche Außenseite aber auch fast die gleichen Zugänge haben, gibt es so etwas wie einen Innenhof, auf dem man sich zum Frische-Luft-schnappen treffen kann, wenn man nicht gerade auf einer diszplinären Party oder zuhause gebraucht wird. Ein Golfplatz oder Segelclub für informelle Beziehungen, nur daß statt einem Mindesteinkommen und Mindestsportlichkeit ein Mindestmaß an Kreativität, Belesenheit, Sensibilität oder Visionsfähigkeit verlangt wird.

Es ist aber noch mehr als Breitenwissenschaft: es ist ein Platz für die Fragestellungen, die in der etablierten Wissenschaft vermieden werden, weil sie z.B. den gerade aktuellen Kriterien von Wissenschaftlichkeit nicht genügen oder die Fragestellung zu privat erscheint. Langweilig ist es an dieser Grenze nie.


Literatur:

  1. Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Suhrkamp, 1994.
  2. Karin Knorr-Cetina, Die Fabrikation von Erkenntnis. Suhrkamp, Ffm., 1991.
  3. Wolfgang Krohn und Günther Küppers. Die Selbstorganisation der Wissenschaft. Suhrkamp, Ffm., 1989.
  4. Rudolf Stichweh. Die Autopoeisis der Wissenschaft. In Dirk Baecker u.a. (Hrsg.), Theorie als Passion. Niklas Luhmann zum 60. Geburtstag, S. 447--481. Suhrkamp, Ffm., 1987.
  5. Wehowsky, S., Die unvernünftige Gesellschaft, in: GEO WISSEN Chaos + Kreativität, Gruner+Jahr, Hamburg 1990, S. 152--161